Alles begann 2008, als ich mein damaliges gestecktes Ziel, im Pharma-Außendienst erfolgreich zu arbeiten, erreicht hatte und mich fragte, ob es das jetzt gewesen sein soll. Mein Streben nach Erfolg und einem Gehalt, mit dem ich mir alle äußeren Wünsche erfüllen konnte, fühlte sich so gar nicht nach dem an, was ich mir erhofft hatte. Da war eine dumpfe Leere in mir, die mich erschöpft fühlen ließ. Dabei hatte ich alles erreicht, wovon ich noch in meiner Ausbildung träumte. Ich wohnte in einem Haus, zusammen mit meinen vier Papageien, und ich wusste instinktiv, so möchte ich nicht bis zum Ende meines Lebens weitermachen.
Ich brauchte eine Auszeit, länger als einer meiner unzähligen schönen Urlaube, die ich in der Vergangenheit unternommen hatte. Ich prüfte meine Möglichkeiten, an drei Wochen Urlaub noch zwei Wochen Bildungsurlaub zu hängen und wusste zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht, dass dieser Schritt mein ganzes Leben auf den Kopf stellen würde. Es war schon immer ein großer Traum von mir, die Heimat meiner geliebten Haustiere zu entdecken und Papageien (bevor wir Menschen sie leider völlig ausgerottet haben) in ihrer freien Wildbahn zu erleben. Klar war, es muss dafür nach Südamerika gehen. Nach einigen Recherchen fand ich eine Sprachschule in Quito, Ecuador, bei der ich zwei Wochen Spanisch lernen konnte, bevor ich mich drei weitere Wochen per Bus durchs Land bewegen würde, um noch einige Tage in einer Auffangstation für Wildtiere ein Volontariat zu machen und die Wale im Pazifik zu besuchen, sowie in die Tiefen des ecuadorianischen Dschungels einzutauchen und mich fünf Tage auf Vogelexkursion zu begeben. Geplant, gebucht und am 6.8.2009 ins Flugzeug gestiegen. Noch erwähnenswert finde ich, dass ich seinerzeit zwei Ärzten von meinen mich bewegenden Gedanken erzählt habe und dort nach Hilfe und Unterstützung suchte. Das medizinische Ergebnis lautete: eine Angststörung, deren Behandlung mindestens zehn Jahre dauern würde, sowie eine sedierende Medikation.
So schockierend das damals auch war, umso lächerlicher erscheint es mir heute. Ich steckte, wenn überhaupt, in einer ersten Seelenkrise und die einzige Antwort in unserem Gesundheitssystem darauf lautete, krank zu sein. Lassen Sie sich also bitte nichts vormachen. Wir sind viel weniger krank, als man uns glauben lassen will. Die einzig wirklich ernst zu nehmende Krankheit ist in meinen Augen die Abkehr von unserer Seele durch immer neue Ablenkung im Außen.
Aber nun zurück nach Ecuador. Quito liegt auf 2.850 m Höhe und nur 20 km südlich des Äquators. Somit ist die Luft dort eine ganz andere als hier. Ich kämpfte also nicht nur mit einer Sprache, die ich bis auf „Hola, que tal?“ noch nicht beherrschte, sondern auch mit einer Luft, die mich nicht so wirklich gut atmen ließ. Nach kurzer Zeit kam sie dann wirklich, meine Angst, wie ich sie bislang noch nie deutlicher gespürt hatte. Und ich fragte mich, was um alles in der Welt hat mich hierher gebracht? War ich nicht im Besitz meiner geistigen Fähigkeiten? Auf was habe ich mich da bloß eingelassen? Mein Ego wollte mich doch tatsächlich dazu bewegen, die Reise, kaum angekommen, wieder abzubrechen und für viel Geld den nächsten Flieger nach Deutschland zu nehmen. Hauptauslöser dafür waren irgendwelche Sandflöhe, die mir die Beine juckend gebissen hatten.
Nach einem tränenreichen Tag kehrte dann meine Motivation für diese Reise zurück. „Du bist hier, um deine Seelentiere in ihrer Heimat zu sehen, frei lebende Papageien in ihrer Wildbahn, und deshalb bleibst du und stellst dich hier deinen Themen, egal welche noch auftauchen werden!“, sagte ich mir mantramäßig immer wieder selbst. Tags darauf waren die Ängste verflogen, die Sandflöhe zum nächsten Opfer weitergezogen und ich konnte beim bergauf in die Sprachschule auch wieder Luft bekommen. Mit einem „Geht doch!“ richtete sich mein Körper auf und ich fühlte mich stolz!
Am ersten Wochenende bin ich zusammen mit einem anderen deutschen Sprachschüler in den Norden gefahren, zum Mitat del Mundo, und stand dort zum ersten und vermutlich letzten Mal in meinem Leben mit einem Bein auf der nördlichen Halbkugel und mit dem anderen auf der südlichen. Das Foto zeigt mich, wie ich seiltanzartig auf der Äquatorlinie tänzele. Es war ein schöner erster Ausflug, um das Land zu erkunden, und die Anfahrt führte bereits durch ein Stück Nebel-Regenwald – das machte mir Freude auf mehr davon.
Ich lernte alle wichtigen spanischen Vokabeln, die ich auf meiner Reise gut gebrauchen konnte, und begab mich zehn Tage später von Quito aus mit dem Bus in das 4 Stunden und 194 km entfernte Tena, um nach zwei Übernachtungen und Erkundungen der Region eine Woche ins Yanacocha Wildlife Center als Volunteer zu gehen. Auf der Fahrt begegnete ich vielen Einheimischen, die mit ihren Kindern und Tieren wenige Stopps später wieder aus dem Bus ausstiegen. Einige von ihnen machten einen sehr armen Eindruck, reisten mit Plastiktüten, und ihre Kleidung wirkte verstaubt und alt. Verglich ich das mit Obdachlosen bei uns zu Hause oder mit Menschen, die von Hartz IV leben, so fiel mir ein gravierender Unterschied auf, der auch seine Wirkung auf mich hatte: Diese Leute lächeln und strahlen trotz ihres einfachen Lebens eine Freude aus, die ich hier bei uns im Lande vermisse. Und mehr noch: Sie begegneten mir mit einer Menschlichkeit und Freundlichkeit, dass ich mein Glück kaum fassen konnte. So boten mir meine Sitznachbarn Essen und Getränke an, und ich spürte, dass sie das von Herzen gerne taten. An jeder Station, unter anderem hier bei den „Heißen Bädern von Baños“ (Baños de Agua Santa – heißt wörtlich übersetzt: „Bäder des heiligen Wassers“), stiegen Verkäufer ein und verkauften zum Beispiel getrocknete Bananen, Getränke, Chips und frittierte Teigtaschen.
Am Anfang traute ich mich noch nicht, etwas davon zu kaufen, aus Sorge, mir meinen verwöhnten europäischen Magen zu verderben. Mit anhaltender Fahrzeit kam aber auch der Hunger und meine mitgenommenen Sandwiches neigten sich dem Ende zu. Ich wagte mich zuerst an die Chips und Bananen ran und erlebte ein wahres Geschmackswunder in meinem Mund. Diese Dinge wurden täglich frisch zubereitet und schmeckten unendlich lecker. Und nach Ankunft an meinem Ziel, freute ich mich bereits auf die nächste Busfahrt.
Doch nun möchte ich erst mal von meiner magischen Woche in sehr einfachen Unterkünften des Yanacocha berichten. Geduscht wurde im Freien, die Cabanjas teilten sich zwei Volunteers des gleichen Geschlechts, es gab eine offene Küche, die lediglich überdacht war, und ich war zum ersten Mal in meinem noch jungen Leben mit diesen einfachen Bedingungen konfrontiert und im ersten Moment auch völlig überfordert.
Das legte sich nach kurzer Zeit, als ich meinen ersten Streifzug durch die Anlage unternahm und überall wunderschöne Papageien saßen und meine Augen erfreuten. Die einen mehr, die anderen weniger zutraulich. Mein Herz hüpfte vor Freude und die Augen wurden feucht.
In dieser Auffangstation lebten noch weitere interessante Tiere, die auf ihre Auswilderung warteten. So zum Beispiel ein Ozelot, dem ich gerne in seine wundervollen großen Augen schaute und sein glänzendes Fell bewunderte.
Das Fell seines Gehege-Nachbarn hat mich regelrecht paralysiert. Jede noch so kleine Bewegung ließ sein Fell anders schimmern, als ob es eine Art Chamäleon-Effekt hätte.
Beides waren wunderschöne, anmutige Tiere, die hinter Gitter nicht gefährlich für mich waren. Würde ich ihnen ohne diese Gitter in freier Wildbahn begegnen, hätte ich mich ihrem Anblick nicht dermaßen hingeben können. Und wenn Sie mich fragen, worin der Unterschied besteht zu dem Anblick solcher Tiere in einem deutschen Zoo, dann kann ich Ihnen diese Frage gerne beantworten. Man kommt in diesem Auswilderungscenter wirklich unglaublich dicht an die Tiere heran, so dass man ihnen Auge in Auge gegenüber steht. Es gibt keinen Sicherheitsabstand oder gar Gräben. Lediglich das Affen-Gehege hatte so einen Graben, dafür gab es aber keine Gitter. Ich war sehr beeindruckt von der möglichen Nähe zu diesen Wildkatzen. Darüberhinaus gab es Wildschweine, Affen und mehrere Teiche mit Fischen. Diese wurden allerdings gezüchtet, um sie als Futter verwenden zu können. Eines Nachmittags bat man mich, auch einmal zu versuchen, diese auch zu fangen. Als Werkzeug bekam ich ein großes Netz in die Hand, das ich gekonnt ins Wasser werfen sollte, möglichst auf die Fische, um dann an einem Ende zu ziehen, damit sich die Fische in dem entstandenen Netzsack sammeln und herausziehen lassen. Etwa 2 Stunden und 100 Würfe später habe ich frustriert aufgegeben, weil es mir nicht gelungen war, auch nur einen Fisch zu fangen.
Am vierten Tag stand ich am Wildschwein-Gehege und traute meinen Augen nicht: Eines der Schweine nahm Anlauf, sprang gegen den Zaun, der sich unter dem Druck aufbog, und floh. Ich sprang noch schnell zur Seite und fragte mich, ob es mir gefährlich werden könnte. Es war klar, dass es wieder eingefangen werden muss, um keinen Schaden anzurichten und die anderen Tiere nicht zu erschrecken. Also verständigte ich die Ranger des Parks, die sich sofort auf die Suche nach dem Wildschwein machten. Ich ging daraufhin erst einmal in meine Cabanja, um mich von dem Schrecken zu erholen. Wenige Zeit später erreichte mich dann die Nachricht, dass das Schwein in Sicherheit sei und außer einem Aufschrecken und Kreischen im Affengehege auch nichts weiter passiert wäre. Ich freute mich über diese Nachricht und dachte an das Loch im Zaun, durch das ich vor wenigen Stunden das Wildschwein springen sah. Ich ging erneut zum Gehege und obwohl ich mir sicher war, die richtige Stelle gefunden zu haben, ging ich einige Minuten auf und ab und konnte nicht verstehen, wieso der Zaun weder beschädigt noch irgendwie repariert aussah. Nein, er sah aus wie am Morgen, bevor das Schwein ausgebrochen war. Ich war irritiert davon und hätte ich nicht gewusst, dass es hundertprozentig so passiert war, so hätte ich annehmen müssen, es nur geträumt zu haben. Ich suchte erneut die Ranger auf, um der Sache auf den Grund zu gehen. Sie sagten mir, dass sie sich nicht erklären könnten, wie und wo das Schwein ausgebrochen war, denn sie hatten das ganze Gehege abgesucht und kein Loch gefunden. Es wurde also nichts repariert.
Nun fing das Rätseln in mir erst richtig an! Was hatte ich da erlebt? Ich war weder betrunken, noch stand ich unter Drogen. Ich bemerkte, dass mein Verstand versuchte, seine ganz eigene Lösung zu erfinden, um wieder klarzukommen. Er gab mir zu verstehen, dass ich mich getäuscht haben musste. Als ich dies aber nicht gelten lassen wollte, versuchte er mir klarzumachen, dass ich dann wohl fantasiert habe – das kann bei der Hitze ja durchaus mal vorkommen! Auch diese Geschichte habe ich ihm nicht glauben wollen und er versuchte es weiter. Etliche Versuche später, als ich mich immer noch nicht beeindruckt von seinen Erfindungen zeigte, geschah etwas ganz Wundervolles. Im Rückblick würde ich das heute als den „Shift in eine neue Wahrnehmung“ bezeichnen. Der Teil in mir, der Zeit meines Lebens von meinem Verstand beherrscht und kleingehalten wurde, wuchs und durfte sich seitdem zu etwas Wunderschönem weiterentwickeln: Mein Bewusstsein dafür, dass es Dinge auf dieser Welt gibt, die entdeckt werden wollen, die fern unserer Verstandeswelt ebenso real existieren, wie meine Arbeit, meine Wohnung und alles materiell Greifbare um mich herum. Mein spirituelles Ich war geboren. Plötzlich verstand ich auch den Film „What the Bleep Do We Know?“, den ich vor Jahren von meiner lieben Freundin Gabi empfohlen bekommen habe. In diesem Film wird von einer Art Parallel-Universum berichtet. Je nachdem, auf welche Frequenz wir uns ausrichten, nehmen wir andere Dinge war. Ich wollte mehr davon haben und mehr darüber erfahren und meinem Forscherdrang sei an dieser Stelle vielmals gedankt, dass er dafür sorgte, dass nun heute viele schöne Jahre der Persönlichkeitsentwicklung und spirituellen Suche hinter mir liegen.
Nun konnte meine Reise also richtig beginnen! Diese setzte ich mit dem Einheimischen-Bus fort über Puyo, Banos, rauf auf die Anden nach Ambato und wieder herunter nach Guayaquil, um von dort aus an die Westküste des Landes zu kommen – nach Puerto Lopez, wo es um diese Jahreszeit Wale zu beobachten gab. Das wollte ich mir auf gar keinen Fall entgehen lassen! Die Fahrt im Bus war wieder einmal eine Freude. An jedem Halt gab es verschiedene Köstlichkeiten, die durch den Bus getragen wurden und wenn alle Wünsche erfüllt waren, stiegen die Händler wieder aus und die Fahrt ging weiter. Das Spannendste jedoch war herauszufinden, ob ich mich überhaupt im richtigen Bus befand. Es war nicht ganz so einfach zu verstehen, an welchem Stopp es zum Beispiel die Möglichkeit einer Toilettennutzung gibt bzw. wo man in einen anderen Bus umsteigen muss. Einmal hätte ich beinahe wegen eines dringlichen Toilettenbesuches meinen nächsten Bus verpasst und das hätte bedeutet, einen ganzen Tag auf die nächste Abfahrt warten zu müssen. Dank der Aufmerksamkeit und Freundlichkeit der Einheimischen um mich herum, die ein liebenswertes Auge auf mich warfen, gelang es mir, die 440 km an einem Tag in 8 Stunden zu schaffen.
Guayaquil als Hauptstadt, nach all den kleinen verträumten Dörfern und einer grandiosen Landschaft, forderte mich dann sehr heraus. Kaum angekommen, spürte ich den Drang, so schnell wie möglich wieder aus der Stadt herauszukommen. Der Busbahnhof war unübersichtlich und ich tat mich zunächst schwer, meinen Anschlussbus nach Puerto Lopez zu finden. Als ich ihn endlich sah und der Fahrer mir mein Ziel bestätigte, war ich unendlich glücklich, als wir aus der Stadt hinausrollten und die Abgase des Bahnhofes hinter uns ließen. Auf zu meiner vorletzten Destination!
Ich hatte mir übrigens vor Abreise aus Deutschland meine Route, meine Aufenthaltsorte und die Anzahl der Übernachtung überlegt und meist jeweils die erste Nacht im Voraus gebucht, um mich dann treiben zu lassen. Als mich der Busfahrer an einer ziemlich einsamen Straße direkt am Pazifik aussteigen ließ, war mir ein wenig mulmig zumute, weil ich mir nicht vorstellen konnte, hier wirklich richtig zu sein und vermutlich so einfach auch nicht wieder wegkäme. Ich schnallte mir meinen Rucksack auf den Rücken und hielt Ausschau nach Schildern, die mir den Weg in meine Unterkunft weisen könnten.
Der Pazifik begrüßte mich mit seiner Brandung und ich genoss das Rauschen des Meeres in meinen Ohren. Nach einigen Metern entdeckte ich eine Steilküste, an der kleine Bungalows standen – und genau dort befand sich auch meine Unterkunft für diese Nacht. Ich kletterte nach oben und erfreute mich an einem wunderschönen Zimmer mit atemberaubendem Ausblick auf das Meer. Ich habe diese Unterkunft sehr genossen, auch wenn sie eine der teuersten auf dieser Reise war. Und im Laufe dieser wurde mir auch bewusst, dass das Buchen vor Ort in jedem Fall viel günstiger ist und sich auf dieses Wagnis einzulassen, immer auch ein kleines Abenteuer bedeutet, das nicht zuletzt etwas in mir weckte, was ich in meinem Leben vermisst habe. Nämlich auch mal improvisieren zu müssen, die Dinge zu nehmen, wie sie kommen, sie mit Leichtigkeit zu begrüßen und auch spontane Entscheidungen aus dem Bauch heraus zu treffen. So kam es dann auch, dass ich am nächsten Tag weiterzog, in die Nähe des Hafens, um von dort aus dann gleich am frühen Morgen eines der Boote zu erwischen, die zum „Whale watching“ rausfahren. Ich habe mir also direkt am Hafen ein Zimmer für 6 Dollar genommen und als ich es sah, wusste ich nicht, ob ich heulen oder lachen sollte. Es war nach der vorherigen Unterkunft ein Unterschied wie Tag und Nacht. Die Zimmer waren nach oben hin offen, so dass man die Geräusche aus den Nachbarzimmern regelrecht live miterleben konnte. Südamerikaner sind sehr ausdauernde Liebhaber – das wurde mir in dieser Nacht auch klar. Draußen fuhren und hupten die Autos bis spät in die Nacht und das abendliche Treiben im Dorf war auch nicht zu überhören. Besonders genossen habe ich die Auswahl an Speisen und Getränken und die tollen Strandbars, die zu einem Drink einluden. Dort an den Palmen waren Steckdosen für die digitalen Endgeräte der Gäste angebracht und ich musste lachen, wie herrlich unkompliziert das Leben in manchen Ländern ist und wie kompliziert, abgesichert und verboten hingegen vieles bei uns in Deutschland erscheint.
Früh am Morgen, nach einem kleinen Frühstück an der ersten Bude, die ich auf dem Weg zum Hafen passierte, saß ich auf einem Boot, gemeinsam mit zehn weiteren Personen. Uns vereinte der Wunsch, Wale in freier Wildbahn zu sehen. Die Fahrt war sehr unruhig, so dass mir nach gefühlten 30 Minuten bereits schlecht wurde und ich mir wünschte, wieder an Land zu sein und festen Boden unter den Füßen zu haben. Es waren auch weit und breit keine Wale zu sehen, geschweige denn Delfine. Ich kämpfte mit mir und meinem Zustand als plötzlich jemand „Mira, mira, ballena!“ rief und ich wusste, jetzt oder nie! Wenn du dich jetzt nicht zusammenreißt und aufstehst, versäumst du, weswegen du hierher gekommen bist! Also stand ich auf, richtete meinen Blick zur Seite und sah die dunklen Buckel aus dem Wasser ragen. Die Tränen kullerten und verwässerten mir den Blick. Ich war so berührt darüber und selbst jetzt, viele Jahre nach dem Erleben, rollen mir beim Niederschreiben wieder die Tränen. Tränen der Berührung, der Erleichterung, der Freude und Tränen darüber, dass hier und jetzt ein Traum in Erfüllung ging. Einen Moment zu erleben, der zukünftigen Generationen vielleicht nicht mehr möglich sein wird, egal, wie sehr sie davon träumen. In diesen Momenten, so glaube ich heute, wuchs mein Bewusstsein darüber, wie wichtig es ist, nicht so weiterzumachen wie bisher, sondern etwas Grundlegendes zu verändern, damit wir nicht noch weitere Arten verlieren, sondern die Welt erhalten und vielleicht sogar wieder Arten zurückbringen können.
Und ich sage Ihnen, es fängt tatsächlich hier vor unserer eigenen Haustür an. Unsere Vogel- und Insektenwelt ist von einem Artensterben nie dagewesenen Ausmaßes bedroht. Und überall lese und höre ich, wie sich egoistische Menschen über etwas Kot oder Verschmutzung ärgern und deshalb den Tieren Nistmöglichkeiten verwehren, gar zerstören und anderen Menschen, die erkannt haben, dass wir schützen müssen, was uns wichtig ist, auch noch die Fütterung verbieten wollen. Wir Menschen haben eine Verantwortung gegenüber der Natur und in Momenten, wie mit „meinen“ Walen, kann diese Verantwortung uns bewusst werden. Deshalb wünsche ich jedem Menschen, so eine Erfahrung machen zu können. Ich bin sehr dankbar für diese Reise und dass ich diese Möglichkeit hatte. Die Fotos vom Anblick dieser Tiere in ihrem natürlichen Element, sind leider nicht gut geworden. Das lag vermutlich mit daran, dass ich kein gutes Kamera-Equipment bei mir hatte und eben auch kein guter Fotograf war zu dieser Zeit. Diese Leidenschaft erwachte erst später in mir. Um mich herum knipsten alle wie verrückt ihre Fotos, aber mir war es auch wichtiger, diesen Anblick in mein Innerstes eindringen zu lassen, ohne eine Kameralinse dazwischen zu haben, die mich ablenkt von der Schönheit dieses Momentes. Das war es mir nicht wert!
Von der Westküste schloss ich den Kreis meiner Ecuador-Rundreise und kehrte zunächst nach Quito zurück, um mit einer kleinen Propellermaschine in Richtung Amazonas zu fliegen. Das Highlight meiner Reise hatte ich mir bis zum Schluss aufbewahrt. Ich wollte 5 Tage in einer Öko-Lodge tief im Dschungel verbringen, die von Aborigines, den Kichwa, geführt wurde, um möglichst vielen Papageien zu begegnen. Der Flug brachte mich nach Francisco de Orellana, wo ich dann gemeinsam mit Anderen im Auto weitertransportiert wurde. Die Fahrt war gesäumt von brennenden Fracking-Flammen, die mir grausam erschienen. Warum wird mitten in dieser wunderschönen Natur so viel Erdölförderung betrieben und umliegende wertvolle Natur zerstört? Es rollten Trecker und LKW durch ein Gebiet, das eigentlich unter Naturschutz stehen sollte. Irgendwann kamen wir an einer Stelle an, von der aus es nur noch zu Fuß weiter ging. Unser Gepäck wurde getragen und wir Touristen trugen uns selbst und gaben Acht, dass wir nicht auf Schlangen und sonstige Bodenkriecher traten. Es war jetzt schon mehr als abenteuerlich und ich freute mich sehr auf das, was noch auf uns wartete. Wir kamen an einen Fluss, auf dem Flöße von muskulösen Männern in Richtung Lodge gepaddelt wurden. Mir wurde hier erst klar, dass wir uns wirklich im Nowhere befanden, weit entfernt der Zivilisation, ohne Handyempfang, nur wundervollste, reine und pure Natur um uns herum. Es war atemberaubend!
Nach gefühlten 2 Stunden kamen wir an einer Lagune mit Steg an und wurden sehr freundlich von den Einheimischen dort begrüßt. Man zeigte uns die Cabanjas und den Platz, an dem wir uns zum Essen treffen wollten. Ich hatte zum Glück rechtzeitig angekündigt, dass ich kein Fleisch und auch keinen Fisch esse und gerne eine vegetarische Verpflegung haben möchte. Was ich jedoch wenige Zeit später auf dem Teller hatte, irritierte mich doch sehr und trotz eines Bärenhungers traute ich mich nicht, einfach zu probieren. Ich fragte den Tour-Guide, der an dem Abend neben mir saß und uns über die folgenden Tage aufklären wollte, was genau das war, was ich da auf meinem Teller hatte. Es dauerte eine Weile der Verständigung und Übersetzung vom Englischen ins Spanische und wiederum ins Deutsche bis klar war, dass es sich um Palmherzen handelte.
Ich wusste gar nicht, dass man so etwas essen kann und schon gar nicht, wie lecker die schmecken. Es mussten also nun Palmen daran glauben, um mich dort vor Ort satt zu bekommen – das war mir ein wenig unangenehm. Aber ich konnte nicht über meinen Schatten springen, erst recht nicht mehr, als wir am nächsten Tag einige Hütten der Eingeborenen besuchten und sie uns zeigten, wovon sie sich hauptsächlich ernähren. Da wurden lebendige, daumendicke Raupen vom Teller in den Mund gefuttert und die knackten beim Draufbeißen fürchterlich. Auch weitere Insekten standen dort auf dem Speiseplan. So gut ich mir vorstellen könnte, eine Zeit lang im Dschungel zu wohnen, an das Essen könnte ich mich nicht gewöhnen und würde nach kürzester Zeit verhungern oder flüchten oder die nächste Bananenstaude ausfindig machen und mich nur noch von Bananen ernähren.
Nahe des Äquators wird es früh dunkel und bereits vor dem Abendessen war ich völlig beeindruckt von dem natürlichen Lärm, der sich zur Dämmerung vor Ort einstellte. Erst hörte man noch die unzähligen Vögel und Papageien rufen, doch nachdem die Finsternis eingetreten war, war es so laut wie auf dem Hamburger Hauptbahnhof, nur mit dem einzigen Unterschied, dass diese Geräusche ganz allein von der immens lebendigen Natur um mich herum veranstaltet wurden. Zirpen und Grillen, die so laut waren, als wären Sie 2 oder 3 Meter groß. Mein Herz hüpfte vor Freude, aber zum Schlafen brauchte ich trotzdem Ohrenstöpsel. Die Nacht erschien mir tatsächlich lauter als der Tag.
Als ich am ersten Nachmittag von der Tour mit den Einheimischen zurückkam, stand ich eine ganze Weile alleine in der Empfangshalle mit Blick auf die Lagune, in der wir auch schwimmen gehen durften – so wurde uns gesagt. In diesem Moment spürte ich tiefste Zufriedenheit in mir, als wäre ich an meinem Bestimmungsort angekommen und sinnbildlich stand das ganze Drumherum für die Ankunft bei mir selbst. Andreas Bourani begleitete mich übrigens mit seinem Album „Wunder“ durch diese magische Transformationszeit und wenn ich seine Musik heute höre, ruft sie sofort die alten Empfindungen wieder in mir wach und zeigt mir, dass es eine Zell-Erinnerung gibt, auf die ich jederzeit zurückgreifen und mir diese Reise somit niemand mehr nehmen kann.
Nun wollte ich dieses Wasser nicht nur sehen und mich verbunden fühlen, sondern ich wollte es auch fühlen. Also zog ich meinen Badeanzug an, ging hinunter zum Steg und streckte meinen Fuß in Richtung der Wasseroberfläche. Es war herrlich warm – wie sollte es auch anders sein bei subtropischen Außentemperaturen. Das Wasser war weich und samtig und gab mir ein Gefühl von Angekommensein.
Der nächste Morgen startete sehr früh. Wir wollten hinauf zum Vogelbeobachtungsturm, der uns 40 Meter dem Himmel und somit auch den Kronen der Baumriesen näher brachte, um all die wundervollen Vögel beobachten zu können. Vögel sind ja begeisterte Frühaufsteher – mit der ersten Dämmerung gegen 5.00 Uhr machen sie sich schon auf den Weg zu ihren Futterplätzen und zwitschern munter vor sich hin. Auch wenn ich das Hinaufkommen auf den Turm bei der hohen Luftfeuchtigkeit alles andere als angenehm empfand, so hatte ich ein Gefühl von Stolz und Glückseligkeit in mir, als ich endlich oben stand, die Sonne langsam aufging und es rings um mich herum nur so wimmelte von bunten Vögeln, die sich mal mehr und mal weniger aus den grünen Bäumen trauten, um sich zu zeigen. Allein, sie zu hören, war mir Freude genug. Und natürlich ging auch diese wundervolle Zeit nicht ohne Tränen an mir vorüber, erfüllte sich hier doch gerade ein weiterer Traum von mir, für den ich diese Reise überhaupt angetreten habe – meine geliebten Tiere, die Papageien, einmal in freier Wildbahn zu erleben. Und ich stand hier, alleine als Frau auf Reisen, inmitten der unberührten Natur der Kichwa Indigenen. Wooow, wooow, wooow – ich bin ein Glückskind, das seinem eigenen Glück gerne auf die Sprünge hilft!
Vor kurzem las ich das Buch von Gerald Hüther „Wenn Träume wahr werden“ zum Thema Potenzialentfaltung, und im Rückblick hat genau diese auf meiner Reise damals auch stattgefunden. Bei dieser Reise fügte sich eins zum anderen und die Rädchen liefen so reibungslos ineinander, dass mein Vorhaben, meinen Traum zu erfüllen, von einer Art magischen Energie nicht nur getragen wurde, sondern sich auch exponentiell erweitern durfte.
Am Abend dieses erlebnisreichen Tages lud man uns zu einer Kanu-Tour auf der Lagune ein und ich meldete mich spontan dafür an, ohne eigentlich zu wissen, was wir genau dort im Dunkeln noch beobachten könnten. Kaum abgelegt, funkelte es ringsherum im Wasser, wenn der Guide seine große Taschenlampe schwenkte. Es waren die unzähligen Augen der Kaimane, die in dieser Lagune ihr Zuhause haben. In eben diesem sanften Wasser, in dem ich den Tag zuvor noch gebadet und mich so wohlgefühlt hatte. Der Guide erzählte uns auch, dass die Kaimane ungefährlich seien und keine Menschen fressen würden. Aber dennoch: Hätte ich von den Kaimanen gewusst, hätte ich nicht einmal den kleinen Zeh hineingehalten. Noch eine Erfahrung mehr, die mich und meine Reise bereicherte und mir zeigte, wie sehr mein Verstand in der Lage ist, mich und meine Entscheidungen zu beeinflussen und mich an vielen Stellen in meinem Leben wahrscheinlich schon vor schönen und guten Erfahrungen bewahrt hat.
Im Anschluss an die Lagune stand nun noch eine Nachtwanderung durch den Regenwald an, da es ja viele Lebewesen gibt, die nachtaktiv sind und erst im Dunklen zum Vorschein kommen. Und mir war natürlich von Anfang an bewusst, dass es im Regenwald Spinnen gibt, die so groß sind wie ein Teller, von dem ich normalerweise esse. Ich hatte Zeit meines Lebens Angst vor Spinnen, eine regelrechte Arachnophobie. Jede noch so kleine ungefährliche Spinne in meiner Wohnung musste sofort von einem Sondereinsatz-Kommando entfernt werden. Auf der einen Seite wollte ich mich gerne drücken, aber auf der anderen wusste ich ganz genau, dass ich etwas verpassen würde. Also zog ich meine Gummistiefel an und redete beruhigend auf mich ein, dass eine Spinne erst einmal einen halben Meter Gummistiefel zurücklegen müsste, um mich irgendwie an einer Stelle zu berühren, an der ich mit Panik darauf reagieren würde. Ich könnte mich hinter den anderen verstecken und selbst entscheiden, wie dicht ich mir die Tiere anschauen möchte. Und sollte mich wirklich eine angreifen, wären die Guides ja auch noch da, um mich zu retten. Also nahm ich all meinen Mut zusammen und marschierte, eingepackt bis zum Kopf in Kleidung, in die nichts mehr reinkrabbeln konnte, zum Treffpunkt.
Mit zitternden Knien folgte ich den anderen, die schon voller Vorfreude versammelt waren und nur auf mich zu warten schienen. Atmen, Moraya, atmen, nicht auch noch die Luft anhalten! Der Guide blieb stehen und teilte uns mit, wo die erste Vogelspinne saß, damit wir uns ihr langsam annähern und sie beobachten konnten, ohne sie zu erschrecken. Die anderen gingen erst einmal mutig voran, machten ein Foto und entfernten sich relativ schnell wieder. Die Spinne machte keinen Mucks und saß da, als wäre sie tot. Von wegen nachtaktiv! Ich ging als letzte und mit jedem Schritt, den ich ihr näher kam, faszinierte mich dieses pelzig-haarige Tierchen mehr und mehr. Ich spürte, wie ich immer dichter und dichter rangehen wollte, um sie in all ihren Facetten wahrzunehmen. Ich war selbst überrascht, wie wenig Angst ich in diesem Moment hatte und realisierte auch hierbei, welch ungeheure Macht mein Ego, mein Verstand, meine Gedanken haben. Zeit meines Lebens habe ich geschrien und bin einfach weggerannt, wenn mir eine Spinne begegnete und nun stand ich Auge in Auge mit einer der größten und gefährlichsten Spinnen und spürte Ruhe und Frieden in mir. Ein Lächeln zog über meine Lippen. Ich machte noch ein „Beweis“-Foto und wir zogen weiter, um noch weitere Arten von tellergroßen Spinnen anzuschauen. Ich war fröhlich und gut gelaunt, hatte sich doch soeben eine Angst aus meinem System gelöst, von der ich nie für möglich gehalten hätte, dass sie sich lösen ließe.
Wieder in Deutschland angekommen, setzte sich dies insofern fort, als dass ich mir einen Spider Catcher gekauft habe und seitdem jedes Tierchen, das sich in meine Wohnung verirrt hat, liebevoll und unversehrt wieder zurück in die Natur setze. Es geht sogar soweit, dass ich manch ein Tier, und darunter auch Spinnen, über Winter bei mir aufnehme und sie überwintern lasse. Schlafen ja nur und fressen nix – insofern alles gut. Ich freue mich über diesen Erfolg, mich in den Tiefen des ecuadorianischen Dschungels meiner einzigen und zugleich größten Angst gestellt zu haben und ohne sie nach Hause zurückgekehrt zu sein. Das allein wäre die Reise schon wert gewesen, aber da steckte so unglaublich viel mehr drin.
Nach fünf intensiven Tagen in der Lodge ging es dann denselben Weg zurück nach Quito, den ich gekommen war. Als das Flugzeug über den Amazonas und die Schlingen des Rio Nabobs flog, liefen bei mir wieder die Tränen. Was für ein Erlebnis – ein Traum ist in Erfüllung gegangen und das Danach muss erst wieder mit etwas Sinnvollem gefüllt werden. Den letzten Abend nutzte ich dazu, meinen Rückflug noch einmal bestätigen zu lassen und genau zu prüfen, wann ich am nächsten Tag das Taxi nehmen müsste, um rechtzeitig am Flughafen anzukommen. Ich schrieb noch eine E-Mail an meine Kollegin, die mir freundlicherweise Arbeitsklamotten mitbringen wollte für das nächsten Meeting, das ich direkt vom Flughafen aus aufsuchen wollte. Danach ließ ich die letzten fünf aufregenden Wochen noch einmal Revue passieren.
Ich frühstückte, verabschiedete mich von meiner Gastfamilie und es wurden viele gute Wünsche ausgetauscht. Mein Taxifahrer stand pünktlich um 10.00 Uhr vor der Tür, lud mein Gepäck ein und setzte das Auto in Gang Richtung Flughafen. Die Fahrt sollte nur 20 Minuten dauern. Doch bereits nach wenigen Kilometern mussten wir feststellen, dass hier eine Straße gesperrt war, was er noch mit einer lockeren Handbewegung quittierte, um deutlich zu machen, dass er als Taxifahrer natürlich tausend Ausweichstrecken zum Flughafen kennt. Doch kurze Zeit später standen wir vor der nächsten Straßensperrung und es folgte eine nach der anderen. Nach 30 Minuten stieg mein Blutdruck deutlich an und ich sorgte mich darum, ob ich noch rechtzeitig am Flughafen ankommen würde, um meinen Flieger nach Frankfurt zu bekommen. Ich hatte mir sogar überlegt, mein Gepäck einfach in die Hand zu nehmen und zu laufen, aber der Fahrer wollte einfach nicht aufgeben. An einer der unzähligen Straßensperrungen fragte er dann einen der Polizisten, was hier eigentlich los sei. Wohlgemerkt, es war ein Wochenende. Der Polizist teilte uns mit, dass doch heute der große Stadt-Marathon in Quito stattfinden würde und deshalb von 9.00 bis 15.00 Uhr alle Straßen gesperrt seien. Auf seine Frage, wie er denn am besten zum Flughafen käme, wusste der Polizist auch keinen Rat und ich fing so langsam an, heftig zu schwitzen.
Auch wenn es sehr knapp wurde, ich habe meinen Flieger bekommen und fand mich pünktlich um 10.00 Uhr am Montagmorgen zum Meeting in einem Frankfurter Hotel ein. Was für ein Kontrast, ich fühlte mich in einer fremden Welt, mit verkleideten Menschen, einer wie der andere mehr tot als lebendig. So fühlte sich das Ganze für mich nach dieser äußerst lebendigen Erfahrung an. Ich hörte unserem Verkaufsleiter zu, wie er die Zahlen präsentierte, die wir erreicht hatten und welche zukünftig zu erreichen wären. Irgendwie war ich zwar körperlich anwesend, aber Teile von mir wollten sich nicht wieder in das mir Altbekannte zurückfinden. Zu schön, zu groß, zu einzigartig und überwältigend waren die vergangenen fünf Wochen gewesen, als dass ich einfach in mein altes Leben hätte zurückkehren können. Auf der Fahrt nach Norddeutschland traf ich die unumgängliche Entscheidung, meine Arbeitsstelle zu kündigen. Zu Hause angekommen, setze ich diesen Plan um, indem ich sofort meine Kündigung schrieb und sie meinem Vorgesetzten zukommen ließ. Kein Mensch, weder meine Eltern, noch meine Freunde konnten mich verstehen. Ich vediente gut, hatte alles, was ich mir wünschte und laut des kognitiven Glaubens brauchte, um ein glückliches Leben mit Haus, Garten, Mann und Tieren aufzubauen. Ich habe mich dagegen entschieden und galt lange Zeit als nicht ganz dicht!
Heute weiß ich jedoch, dass ich viel dichter bin als jene, die ihre Träume nicht nur verkauft, sondern eben auch verraten haben! Und ich kann jeden einzelnen nur einladen, sich, egal wie alt, seinen einstigen Träumen zuzuwenden und sie auch umzusetzen. Auch wenn die letzten zehn Jahre nicht immer leicht waren, sie waren es wert. Ich würde auch heute keine andere Entscheidung treffen, selbst wenn ich die Zeit noch einmal zurückdrehen könnte. Wenn ich es täte, dann wäre sie auf Angst gebaut und wenn ich eines in diesen Jahren gelernt habe, dann die Tatsache, dass Angst kein guter Berater ist und es sich lohnt, aus der Komfortzone auszusteigen und sich ihr zu stellen.
NACHTRAG
Ich träume nachts eigentlich eher selten, es kommt aber seit dieser Reise immer wieder zu unregelmäßigen intensiven Träumen, in denen ich auf unterschiedlichste Art und Weise die Situation der Rückreise wieder erlebe. Es geht immer wieder darum, dass die Zeit knapp wird, ich es nicht mehr schaffe, meine vielen Sachen zu packen. Manchmal träume ich auch, dass ich immer wieder zurückkehre und schon oft, sehr oft, in Ecuador in der Sani Lodge gewesen bin, als ob ein Teil von mir dort wirklich regelmäßig hinreist. Dies erkenne ich meist daran, dass ich den Schrank öffne und dort noch etwas von mir vom letzten Mal liegt, wahrscheinlich weil es nicht mehr in meinen Koffer gepasst hat oder ich es eilig hatte und den Koffer nicht fertiggepackt bekam. Und da sind sie wieder, die Tränen beim Schreiben. Es scheint mir so, als hätte mir Ecuador einen Teil von sich mitgegeben, der in mir weiterlebt und ich einen Teil von mir dort gelassen habe. Und über diese Träume kommunizieren wir miteinander.
Es hat sich bis heute nicht ergeben, diese wundervolle Reise noch einmal zu unternehmen, die Orte noch einmal aufzusuchen und nachzuspüren, nachzubrennen, was sich auf dieser Reise alles für mich bewegte. Ich weiß nicht, ob mein Leben mich noch einmal dorthin tragen wird. Was ich aber weiß ist, dass das die Reise meines Lebens war, für die ich unsagbar dankbar bin. Ich werde das Land, die Menschen und die Tiere niemals vergessen und freue mich, dass ich endlich auch einen Weg gefunden habe, etwas zurückzugeben. Auch das Yanacocha Center wird von mir in Zukunft mit Spenden unterstützt werden, um die wertvolle Arbeit dort fortführen und noch viele weitere Tiere auswildern zu können.